ICD-11 - In 3 Schritten zur Diagnose „Persönlichkeitsstörung“

icd 11Mit der Einführung der ICD-11-Klassifikation ist verbunden, dass es keine gesonderten Diagnosen mehr gibt für zwanghafte, paranoide, schizoide, histrionische, ängstlich-vermeidende, emotional-instabile, abhängige und dissoziale Persönlichkeitsstörungen. Stattdessen soll individueller überprüft werden, ob eine Persönlichkeitsstörung vorliegt und falls ja, in welcher Weise sie sich im Lebensalltag des betreffenden Menschen zeigt. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist in folgenden Schritten vorzugehen:

 1. Überprüfung, ob die Kriterien für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung erfüllt werden

Es liegt eine Störung der Persönlichkeit vor, wenn das Persönlichkeits- und Verhaltensmuster dauerhaft vom gesellschaftlich erwarteten Verhalten abweicht. Die Persönlichkeit und das Verhalten sind sehr starr und unflexibel. Die Abweichungen der Persönlichkeit zeigen sich unter anderem in den Gedanken, den Gefühlen, den zwischenmenschlichen Beziehungen und der Impulskontrolle. Beispiele sind:

  • bizarre Arten der Wahrnehmung von sich selbst und anderen
  • hohe oder niedrige Intensität an Emotionen oder große emotionale Instabilität
  • impulsives, unkontrolliertes Verhalten
  • sehr viele oder sehr wenige soziale Kontakte

Wichtig: Die Symptome müssen zum sogenannten Leidensdruck führen und das soziale und berufliche Leben beeinträchtigen, damit eine Diagnose gestellt werden darf. Andere psychische Erkrankungen oder der Einfluss von Medikamenten müssen ausgeschlossen werden.

2. Einschätzung des Schweregrades

Es wird genauer betrachtet, wie stark sich die festgestellte Störung auf das Leben der betroffenen Person auswirkt. Durch diese individuelle Sichtweise ist es besser möglich, die anschließende Therapie genauer auf den Patienten anzupassen. Um den Schweregrad der Störung festzustellen, werden in folgenden Bereichen Messinstrumente (z.B. Fragebögen) eingesetzt:

  • Das Selbstbild und der Selbstwert der Person
  • Die Qualität menschlicher Beziehungen
  • Verhalten, Emotionen, Gedanken
  • Auswirkungen der Persönlichkeit im privaten und beruflichen Kontext
  • Der Schaden, der sich und anderen zugefügt wird

3. Analyse der vorherrschenden Persönlichkeitsmerkmale

Im dritten Schritt wird dann genauer betrachtet, welche Form der Persönlichkeitsstörung konkret vorliegt. Mit Ausnahme der Borderline-Persönlichkeitsstörung werden die bisher verwendeten Bezeichnungen immer weniger verwendet. Die Ausnahme begründet sich damit, dass es für diese Persönlichkeitsstörung sehr bewährte Behandlungsprogramme gibt, zu denen auch weiterhin jene Patienten Zugang erhalten sollen, die diese Diagnosekriterien erfüllen.

In der ICD-11-Klassifikation werden insgesamt 6 Formen der Persönlichkeitsstörung beschrieben. Das sind:

Negative Affektivität

Negative Grundhaltung, Pessimismus, mangelnde Emotionsregulation, kaum Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, starke Ängste

Frühere Bezeichnung:

  • Schizoide Persönlichkeitsstörung
  • Dependente Persönlichkeitsstörung
  • Paranoide Persönlichkeitsstörung

Bindungsschwäche

Distanziertheit, Fehlen von sozialen Kontakten, Schwierigkeiten beim Ausdruck von Gefühlen, emotionale Distanz

Frühere Bezeichnung:

  • Schizoide Persönlichkeitsstörung
  • Vermeidend-unsichere Persönlichkeitsstörung

Dissozialität

Missachtung der Rechte und Gefühle von Mitmenschen (einschließlich extreme Selbstüberzeugtheit), Empathiemangel, Aggressivität

Frühere Bezeichnung:

  • Dissoziale Persönlichkeitsstörung
  • Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Hemmungsschwäche

Voreilige Reaktion auf innerliche und äußerliche Vorgänge, Impulsivität, Ablenkbarkeit, Unzuverlässigkeit

Frühere Bezeichnung:

  • Schizotype Persönlichkeitsstörung
  • Histrionische Persönlichkeitsstörung

Zwanghaftigkeit

Einengung auf starre, perfektionistische Standards, Kontrolle des eigenen Verhaltens, Kontrolle der Mitmenschen, Detailversessenheit

Frühere Bezeichnung:

  • Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
  • Dependente Persönlichkeitsstörung

Borderline-Muster

Instabilität von zwischenmenschlichen Beziehungen, extreme Impulsivität, unüberlegte Handlungen, Selbstverletzung, Zustände der Dissoziation (Ansprechbarkeit verringert, keine Interaktion möglich)

Frühere Bezeichnung:

  • Borderline-Persönlichkeitsstörung

Zu dieser Thematik finden Sie hier auf der Homepage eine Sendung des Deutschlandfunks mit dem Titel: „Psycho-Revolution – Neustart für die Diagnosen der Psychiatrie“.